Auf der Suche nach dem Paradies

"Hier lässt es sich aushalten, fast wie im Paradies." Wie oft schon geisterte diese Aussage in unseren Köpfen oder man sprach es aus, wenn man sich im Urlaub sauwohl fühlte. Doch wo kommt es her, das Paradies? Neugierig geworden beschlossen wir, der Sache auf den Grund zu gehen.

Doch fangen wir von Beginn an. In Anbetracht der Entfernung entschließen wir uns, die Motorräder bis nach Griechenland zu versenden und selbst hinterher zu fliegen. Nachdem wir die Moppeds in Thessaloniki in Empfang genommen haben, wollen wir unser neu erstandenes Garmin am Lenker der BMW montieren. Erst jetzt merken wir, dass wir zwar mit Inbusschlüsseln gut ausgerüstet sind, aber die kleinste Größe für die Montage fehlt. Vom Speditionspersonal bekommen wir den Tipp, dass wir uns ganz in der Nähe mit dem fehlenden Werkzeug eindecken können. Fast unscheinbar ist der griechische Heimwerkermarkt, sieht er doch wie eine Hütte mit Lagerscheune aus. Die Verständigung ist schwierig, denn die Mitarbeiter sprechen kaum Englisch. Zunächst dachten sie wir benötigen Schrauben und durchwühlen ihr gesammeltes Schraubenarsenal. In der Zwischenzeit aber erfahren wir den unschätzbaren Service dieses mit allerlei Materialien und Werkzeugen ausgestatteten griechischen Ablegers eines "Obi- marktes". Als erstes bekommt Eva einen Saft serviert und darf sich ins „Büro“ setzen. Ich kann mir aus dem Kühlschrank ein Getränk meiner Wahl aussuchen und schließlich gelingt es uns, verständlich zu machen, dass wir nicht Schrauben, sondern das Werkzeug für deren Montage brauchen. Gut erfrischt und noch mit einem Lunchpaket von einem der Angestellten versorgt, "original homemade" wie er uns versichert, verlassen wir mit einer um 2,60 € erleichterten Reisekasse und einer ersten herzlichen Erfahrung den örtlichen Baumarkt.

Jetzt heißt es Kilometer abspulen und die türkische Grenze zu überqueren. Doch vorher meint Petrus, dass es wohl strenge Quarantänevorschriften in der Türkei geben müsse und steht uns hilf- reich zur Seite, indem er uns erstmal ordentlich abspült. Nach erfolgreicher Arbeit entlässt er uns durch ein strahlen- des Tor, das aus einem leuchtend die Autobahn überspannenden Regenbogen besteht. Welch sagenhafter Start für unsere Reise.

Die nächsten Tage steht uns der 2.500 km lange Transit durch die Türkei bevor. Wir wählen die Strecke über Gelibolu und das Marmarameer nach Ankara, denn so umgehen wir die chaotische Engstelle über den Bosporus, die alles andere als entspannt zu durchfahren ist. Dunkle Regenwolken begleiten unseren Weg und in der Dämmerung entlädt sich zu unserer linken ein heftiges Gewitter. Im Minutenrhythmus zucken die Blitze duch den Abendhimmel, ein bedrohliches Schauspiel.

Am folgenden Morgen ist der Spuk zum Glück vorbei, die Temperatur steigt kontinuierlich auf 38°C an. Wir kommen so zügig voran, dass uns die am Strassenrand stehenden Wertungsrichter in Form der Polizei in diesem Spiel um das schnellste Vorankommen zu strahlenden Gewinnern ernennen. Den Gewinn in Form eines Strafzettels können wir bei den am folgenden Haltepunkt stehenden Kollegen abholen. Nur stimmen unsere Vorstellungen über die ermittelte Geschwindigkeit und die damit verbundene Höhe des Strafzettels nicht mit den Vorstellungen der Polizisten überein. Langes Diskutieren hilft nicht, die Beamten sprechen nur türkisch. Wir ziehen den Telefonjoker, doch der Beamte am anderen Ende des Diensthandys teilt uns in Englisch mit, dass wir zu unterschreiben hätten. Die Teilnahmegebühr soll in den nächsten 2 Wochen bei der Ausreise an der Grenze gezahlt werden. Fahre direkt zum Zoll und erhalte ein Drittel der Gebühr als Rabatt, sind die letzten Worte. Wir sind gespannt, ob diese Ereigniskarte auch bei den Zöllnern gilt, schriftlich haben wir ja nichts!

Am ersten Kontrollpunkt der türkisch-iranischen Grenze zeigen wir unsere Strafzettel und wollen die Gebühr begleichen, doch wir werden weitergeschickt. So fahren wir zum zweiten Kontrollpunkt. Nach kurzer telefonischer Rückfrage teilt uns der Grenzer mit, dass wir auf der Rückreise nach Griechenland vor Grenzübertritt zahlen sollen. Weiter geht´s, wir stehen vor zwei aufeinander folgenden Gittertoren, den Iran schon in Sichtweite. Nachfolgende Fahrzeuge drängeln hiervor in jede kleine Lücke. Ungehalten fordern uns die Fahrer auf, doch gefälligst Platz für ihre Autos zu machen. Unmissverständlich und mit ernsthafter Miene mache ich ihnen klar, dass auch sie sich hinten anstellen müssen. Inzwischen ist auch Eva am dritten Kontrollhäuschen an der Reihe. Die Beamtin ist nicht zufreiden und zeigt nach längerem Suchen im Smartphone auf die Worte in der Übersetzungs-App: "Traffic Fee Varmis". Nun sollen wir also doch vor der Ausreise zahlen, leider kann sie uns nicht erklären, wo - wir sprechen ja kein türkisch. Langsam werde ich deshalb ungeduldig und ärgerlich. Nach mehreren Telefonaten drückt sie Eva einen Zettel mit türkischen Stichworten in die Hand und schickt sie zurück zur ersten Station. Dort wisse ein Kollege Bescheid und erkläre ihr den weiteren Weg zur Kasse. Diese mache aber erst um 13 Uhr wieder auf - es war viertel nach 12h. Eva macht sich zu Fuß auf den Weg und dort angekommen, will ihr die Beamtin auf türkisch den Weg zur Kasse erklären.

Da ich nichts von dem verstehe, spricht sie den nächsten Fahrer eines Kleinlasters an. Er muss extra umkehren, um mich zum Hauptzollgebäude zu fahren. Dort winkt mir ein LKW-Fahrer zu und ich zeige ihm die Notiz der Beamtin von Häuschen drei. Da noch Mittagspause ist, muss ich inmitten der anderen LKW-Fahrer warten, die mich neugierig in meiner doch ungewöhnlichen Motorradkleidung beäugen. Plötzlich springt der erste LKW-Fahrer auf und bringt mich zum Kassierer, der soeben aus der Mittagspause zurückgekehrt ist. So zahle ich vorschriftsmäßig unsere Strafen mit dem wie versprochen gültigen 15-Tage-Sofortzahler-Rabatt. Puh – geschafft, bis auf die Knochen durchgeschwitzt kehre ich zu Bernward zurück. Wir sind noch ganz vorne dabei, beim nächsten Mal kommen wir mit durch – welcome to Iran!

Nachdem wir an der Grenze sehr viel Zeit verbracht hatten, kommen wir erst abends in der Dunkelheit in Tabriz an. Die Fahrt ist für mich die Hölle, im Dunkeln, total müde durch den chaotischen Statdtverkehr

Neugierig auf das was uns im Iran erwartet, brechen wir gleich nach dem Frühstück auf, um die Stadt zu erkunden. Nachdem wir die blaue Moschee bestaunt haben, gehen wir in ein Restaurant, um uns mit einem Tee zu erfrischen. Es ist in einem umgebauten ehemaligen Badehaus. An den Tisch nebenan setzen sich zwei Frauen und schauen neugierig herüber. Nach kurzer Zeit trauen sie sich uns anzusprechen, sie heißen Nazli und Mitra. Sie bieten uns an uns Tabriz zu zeigen, doch vorher bestehen sie darauf, ihr Essen mit uns zu teilen. Gut gestärkt schlendern wir zusammen über den Basar und die beiden helfen Eva bei der Auswahl und Kauf eines Manteau.

Bevor wir weiter in den Süden hinab fahren, ist ein Abstecher ans Kaspische Meer geplant. So geht es durch das Sabalan- und Elburzgebirge zunächst nach Ardebil und von dort weiter bis nach Khalkhal. Es ist bereits Abend und wir finden kein Hotel. Am Stadtrand fragen wir bei einem Autohändler nach, ob er uns helfen könne. Nachdem er sich nicht sicher ist, ob wir anhand seiner Wegbeschreibung das einzige Hotel des Ortes finden werden, setzt er sich kurzerhand ins Auto und leitet uns auf eine Anhöhe oberhalb der Stadt. Das Hotel ist jedoch von mehreren Pilgern restlos ausgebucht. Er überlegt kurz und bringt uns zu einem großen Haus mitten in der Stadt, wo in mehreren Etagen Apartments vermietet werden. Damit die Motorräder über Nacht sicher stehen, dürfen wir sie im Innenhof des Nachbarhauses abstellen.

Recht früh stehen wir am nächsten Morgen auf, die Stadt ist noch wie ausgestorben. Nur ein kleiner Laden hat geöffnet und zum Glück gibt es Brot zu kaufen. Es ist das erste mal, dass wir die Vorräte aus unserer Campingküche nutzen. Die Motorräder stehen schon wieder beladen und abfahrbereit vor der Tür, doch von den beiden jungen Betreibern des Apartmenthauses ist weit und breit nichts zu sehen. Waren die beiden letzte Nacht etwa auf Tour und schlafen jetzt aus? Das wäre fatal, denn unsere Pässe liegen noch verschlossen in der Schublade ihres Büros. Zum Glück hilft uns ein benachbarter Ladenbesitzer und ruft einen der beiden an.

Wieder in den Bergen zurück halten wir an einem Rastplatz, der aus einfachen Bretterverschlägen und brennenden Feuerstellen besteht. Während ich noch fotografiere, kauft Eva eine riesige Dose Bienenhonig, der noch in den Waben klebt. Es geht an kahlen Berghängen mit kleinen Orten vorbei, deren Häuser mit blauen Wellblechdächern für bunte Farbtupfer in der kargen Landschaft sorgen. Weiter unten geht es kurvenreich durch dichten Nebelwald nach Asalem am Kaspischen Meer hinab. Auf der Strecke herrscht reger Verkehr, halb Iran scheint auf Picknicktour zu sein. An jeder sich bietenden Haltemöglichkeit am Strassenrand sieht man Grüppchen, die ihre Decken zum Picknick ausgebreitet haben.

Fast im Tal angekommen steuern wir ein Teehaus an. Es ist mit überdachten Sitzplattformen, welche mit Teppichen und Kissen ausgelegt sind, direkt am Bach gelegen. Hier machen wir es uns bequem. Schnell kommt eine Frau mit ihrer Tochter vom benachbarten Plateau zu uns herüber und spricht uns auf Englisch an. Sie möchte wissen ob sie uns helfen kann, bzw. dass wir mit auf´s andere Plateau kommen. Gern nehmen wir ihre Hilfe an und so gehen Eva und sie zum Küchenhäuschen vor. Sie erklärt Eva, was es an Speisen gibt und Eva bestellt uns Hähnchen Kebap. Wir erfahren noch, dass sie und die Familie aus Teheran kommen und dass sie auf der Durchreise sind. Als wir bezahlen wollen, schüttelt der Teehausbetreiber nur mit den Kopf. Wir bitten Elham, die Frau aus Teheran, uns zu helfen und zu klären, was wir für unser Essen zu zahlen haben. Sie übersetzt uns „you are guests – welcome to iran“ und nachdem wir noch mehrfach nachfragen und die Antwort immer gleich bleibt, nehmen wir die Einladung schließlich an und bedanken uns herzlich. Eva unterhält sich noch mit Elham und erklärt ihr, dass es ihr unangenehm ist so gastfreundlich behandelt zu werden ohne selbst etwas zurück geben zu können. Doch Elham versichert uns, dass wir nichts zurück geben müssten, da wir Gäste seien und solch eine Gastfreundschaft im Iran doch ganz normal sei.

Am Kaspischen Meer angekommen, fahren wir mit den Motorrädern direkt an den Strand. Erst wundere ich mich noch, warum Eva bereits nach wenigen Metern anhält, aber dann sehe ich auch, warum – im Meer baden Wasserbüffel. Bevor ich mein Motorrad zum Fotografieren richtig abstellen kann, werden sie auch schon von den anwesenden Badeaufsichten aus dem Wasser getrieben. Leider hat Eva nicht genug lange Kleidung dabei, um wie die anderen Frauen vollständig bekleidet baden zu gehen. So begnügen wir uns damit nur knietief durchs Meer zu waten. Schnell haben wir mal wieder das Interesse der Iraner auf uns gezogen und werden von ihnen fotografiert und ausgefragt. Bevor es wieder weiter geht, lassen wir es uns nicht nehmen und drehen noch ein paar Runden mit den Motorrädern am Strand.

Weil wir hier an der Küstenstrasse relativ viel Zeit verloren haben, steuere ich in Rashd die Autobahn an. Erst auf der Zufahrt zur Mautstation macht uns ein Schild darauf aufmerksam, dass diese für Motorräder gesperrt ist. Ein Umdrehen ist aber nicht mehr möglich. Vor der Station winken uns Polizisten an die Seite und verlangen, dass wir wieder zurück fahren sollen. Da es hier keine Ausfahrt und keine Möglichkeit auf die Gegenfahrbahn zu kommen gibt, finde ich die Idee als Geisterfahrer zurück zu fahren nicht gerade angenehm. Während ich überlege, wie ich es ihnen erklären soll, dass uns kein Scotty von hier weg beamen kann, kommt ein höherer Dienstgrad herbei . Ihm kann ich schnell erklären, dass es eigentlich nur in Fahrtrichtung weiter geht und unerwartet entgegnet er: „you can go!“. Der Kassierer der Mautstelle winkt uns weiter und reckt seinen Daumen nach oben. Langweilig wird die Fahrt auf der Autobahn keinesfalls, denn fast alle uns überholenden Autos bremsen neben uns abrupt ab, um uns zu fotografieren und per Handzeichen zu bestärken. Wieder zügig unterwegs erreichen wir schnell Rudbar, wo die Autobahn endet und wir gefühlt mitten in den größtmöglichen Stau der Welt geraten.

Es stürmt so sehr, dass es mich mehrmals fast mit dem Motorrad auf die Seite schmeißt. Es wird schnell dunkel und die Strecke bis Qazwin zieht sich ins Unermessliche. Meine Nerven liegen blank, ich kann nicht mehr. Wir machen eine Pause, Bernward tröstet mich. Die letzten 70 km fahren wir langsamer, wir werden von grell beleuchteten und donnernden Lastwagen überholt. Endlich im Hotel angekommen will ich nichts mehr essen oder schreiben, sondern nur noch schlafen.

Eva ruht sich noch weiter im Hotel aus, mich treibt die Neugier hinaus in die unbekannte Stadt. Mittags hole ich sie ab und wir tauchen in die dunklen Gänge einer alten Karawanserei ein. Mittendrin befindet sich ein großer Basar. Vor einem kleinen Elektrogeschäft werden wir von einem Mann im perfekten Englisch angesprochen. Schnell stellt sich heraus, dass er ein Iraner ist, der in Amerika Elektrotechnik studiert und bis zu seiner Pensionierung dort gearbeitet hat. Jetzt ist er wieder zurück in seiner Heimat und vertreibt sich die Zeit in seinem kleinen Geschäft. Plötzlich winkt er einen kräftig gebauten Mann herbei und fordert diesen auf für uns zu singen. Einmal in Stimmung gekommen tanzt er noch dazu, als sei er die bauchtanzende Fatima persönlich. Nach dieser Einlage erzählt er uns, dass Tanzen im Basar eigentlich verboten sei, er uns aber zum Lachen bringen wollte. Das ist ihm auch bestens gelungen.

Nur einige Schritte weiter stehen wir mitten im Obst- und Gemüsebasar, es duftet nach frischen Pfirsichen. Plötzlich auf Deutsch angesprochen, kommen wir mit Muhammad ins Gespräch. Seit 30 Jahren lebt und arbeitet er bereits in Ulm. Gerade verbringt er die letzten Tage seines Urlaub in der Heimat bei seinen Verwandten. Er preist uns die Trauben an, sie kommen aus dieser Region und seien die besten im ganzen Iran. Wie Recht er doch hat, so leckere und zarte, zuckersüße Trauben haben wir bisher noch nie gegessen. Wir wollen uns eine Portion kaufen, doch bezahlen dürfen wir nicht. "You are guests, welcome to Iran" sind die Worte als Begründung. Muhammad kommt ins Schwärmen für die vielen leckeren Früchte und möchte uns am liebsten noch eine Zuckermelone in den Arm drücken, doch wir müssen ihn davon überzeugen, dass uns auf den Motorrädern der Platz und die Kühlung fehlt. Doch für ganz frische Pistazien muss Platz da sein und schon erweitert sich unser Proviant.

Als nächstes zieht es uns zum Imamzadeh-ye Hosein, einer berühmten Pilgerstätte, wo Hosein, der Sohn des achten Imam Reza beigesetzt ist.

Am Eingang erhalte ich einen großen braun geblümten Umhang, der an ein Betttuch erinnert, um mich zu verhüllen. Während Bernward im Gebetsraum der Männer verschwindet, gehe ich auf die Rückseite des Gebäudes in den Raum der Frauen. Es herrscht reger Betrieb. Im Zentrum dieses Gebäudes befindet sich zwischen den beiden Gebetsräumen der Männer und Frauen ein Schrein. Die Gitterstäbe des Schreins werden berührt oder sogar geküsst. Tiefe Gefühle von Sehnsucht, Trauer oder Hoffnung liegen in der Luft. Ich lasse die Stimmung und Szenerie eine Weile auf mich einwirken und gehe, als das Gefühl aufkommt ein Fremdkörper zu sein, wieder hinaus.Während ich im Schatten einer Nische auf Bernward warte, beobachte ich die Frauen. Es ist ein Gemisch aus schwarz vermummten strenggläubigen Musliminnen, modern und weltoffen gekleideten Iranerinnen und an Gespenster erinnenden, in Tüchern gehüllten Touristinnen.

In den Fußboden sind Gedenktafeln eingelassen, vermutlich für die im iranisch-irakischen Krieg Gefallenen zum Gedenken. Eine in schwarze Gewänder verhüllte Frau hockt sich nieder und legt ihre Hand auf eine Tafel. So verweilt sie mehrere Minuten. Diese Stille wird jäh unterbrochen, als sie beginnt laut und innig zu weinen. Es ist ein sehr gefühlsgeladener Ort.

Der Tag neigt sich dem Ende zu und auf dem Rückweg zum Hotel gerate ich in den reinsten Fotostress. Nachdem ich selbst ein, zwei Iraner zwecks Fotoerlaubnis angesprochen hatte, werde ich jetzt von fast jedem, dem wir begegnen oder an dem wir vorbei gehen, angesprochen. Sie möchten, dass ich ein Foto von ihnen mache. Das ist in diesem Moment selbst mir zuviel. Ein paar Straßen weiter kommt Eva an einem Gemüsestand mit einem 16-jährigen Mädchen tiefer ins Gespräch. Sie spricht sehr gut Englisch. Wie soviele andere Iraner, die wir noch treffen werden, hat sie es gelernt, weil sie sich für die Welt interessiert.

Durch die Berge fahren wir nach Aran, von hier aus wollen wir in die Wüste bis zum Salzsee Daryach-e Namak. Während ich unsere Trinkwasservorräte und den Wassersack auffülle, plagen Eva Rückenschmerzen und der Kreislauf macht ihr auch Probleme. Wir entschließen uns trotzdem hinaus in die Wüste zu fahren. Da nicht mehr viel Zeit bis zum Einsetzen der Dunkelheit verbleibt, suchen wir uns nach einem Viertel der Strecke einen Platz zum Zelten. Wie erschöpft Eva ist, sehe ich, als wir von der Piste zur Zeltplatzsuche abbiegen. Im ersten sandigen Abschnitt legt sie die KTM gleich zur Seite, beim nächsten bleibt sie stecken. Ich helfe ihr und nachdem eine geeingnete Stelle gefunden ist, baue ich das Zelt auf. In der Nacht hören wir entferntes Katzengejammer und lautes Vogelgeschrei. Der Wind bläst stark in die Zeltplane, die Geräusche erinnern an kleine Explosionen. Spät in der Nacht lassen die Böen nach und es kühlt sogar angenehm ab. Als wir am nächsten Tag den Benzinkocher zum Teekochen starten, strömt das Benzin aus den Schraubverbindungen an den Schlauchenden heraus. So was Blödes, also gibt es zum Frühstück Wasser zu trinken. Um die Teeversorgung brauchen wir uns zum Glück keine Gedanken zu machen, die Gelegenheiten am Tage sind jeweils groß. Weil wir nicht riskieren wollen, dass Eva noch nicht fit genug für die weitere Piste ist, fahren wir nach Aran zurück.

In Aran halten wir an, um die weitere Route ins Navi einzugeben. Aus dem Haus, neben dem wir stehen, kommt ein Mann heraus und lädt uns zum Tee ins Innere ein. Hussein Ali und seine Familie empfangen uns herzlich. Als wir uns nach dem Genuss des Tees wieder auf den Weg machen wollen, werden wir eindringlich aufgefordert weiter zu bleiben. So werden wir noch mit selbstgemachter Limonade und leckeren Honig- und Wassermelonen verköstigt. Mit Hilfe von Zeichensprache, Landkarte und Wörterbuch unterhalten wir uns über das Woher und Wohin, die Familien und welche Früchte bei uns in Deutschland wachsen. Als ich die frisch im Garten gepflückten Feigen wie gewohnt aus der Schale heraus lutsche, schauen mich alle überrascht an. Der Schwiegersohn nimmt selbst eine Feige, um sie theatralisch samt Schale im Mund verschwinden zu lassen. Unwissend wie wir waren, staunen wir, die Familie von Husein Ali lacht herzlich. Obwohl uns die Familie zum Verweilen und zum Übernachten einlädt, zieht es uns weiter, denn wir wollen noch nach Kashan in die Fin Gärten und weiter nach Isfahan.

Im Reiseführer steht leider keine nähere Ortsangabe zu den Fin Gärten und so frage ich bei den Taxifahrern, die wir am Straßenrand erspähen, nach dem Weg. Einer von Ihnen zeichnet uns diesen auf einen Briefumschlag. Noch bevor wir aufbrechen bietet ein Mann, der die ganze Zeit mit seinem Mopped am Rand gestanden hat und sich mit den anderen Taxifahrern unterhalten hat, an uns den Weg zu zeigen. An den Gärten angekommen, lässt Mehdi es sich nicht nehmen, uns in den Gärten zu begleiten und unsere Motorradsachen, wie Helme oder Jacken, zu tragen - wir sollen die Hände zum Fotografieren frei haben. Bevor es weitergeht, trinken wir im Schatten zusammen Tee und essen ein recht süßes Fruchteis. Falls wir wieder nach Kashan kommen, sollen wir uns bei ihm melden, denn hier gebe es noch viel zu sehen und er wolle es uns dann zeigen.

Endlich in Isfahan angekommen, fahren wir an der ersten großen Kreuzung an den Straßenrand, um im Reiseführer und Navi nach einem Hotel zu suchen. Kaum haben wir den Reiseführer aufgeschlagen, da spricht uns Peyman an, ob er uns helfen könne. Als wir ihm berichten, dass wir auf Hotelsuche sind, bietet er uns an, uns zum Hotel zu leiten, in dem sein omanischer Freund zur Zeit untergebracht ist. Dies ist leider überfüllt und so bleibt nur noch ein Hostel in der Nähe übrig. Er führt uns jetzt zu Fuß über den Fußweg und über einen schmalen Baustellensteg dorthin, wir folgen den selben Weg auf unseren Motorrädern. Eigentlich wollte er uns nicht hierher bringen, da diese Unterkunft doch zu einfach für uns wäre. Daher handelt er noch den Preis ein wenig herunter, damit dieser angemessen sei. Falls wir weitere Hilfe oder Geld benötigen, so sollen wir uns bei ihm melden, sagt er zum Abschied und gibt uns seine Handynummer. Die Überraschung ist groß, als wir beim Entladen der Motorräder von 2 Deutschen nach dem Woher angesprochen werden und sich herausstellt, dass einer von ihnen, Jürgen, ebenfalls aus Göttingen kommt. Beide sind schon länger mit ihren Motorrädern hier und brechen früh am nächsten Morgen zur Weiterfahrt auf.

Die Gäste des Hostels sind bunt gemischt, die meisten kommen aus dem westlichen Europa und die anderen meist aus Japan. Die nächsten beiden Tage verbringen wir weiter in der Stadt und lernen noch einige interessierte Iraner kennen. Am meisten beeindruckt uns der riesige Meydan, die ihn umgebenden Moscheen und die von Handwerkern und Händlern belebten Arkadengänge. Im traditionellen Restaurant "Nasqsh-e Jahan" oberhalb der Arkaden und des seitlichen Basars geniessen wir auf persischen Liegen sitzend das lebhafte Treiben und bestellen uns leckeres Essen. Wie immer beobachte ich, was einheimische Tischnachbarn zu Essen serviert bekommen. Noch bevor ich mich weiter mit Eva unterhalten kann, wird mir von ihnen auch schon eine Kostprobe von ihren Essen angeboten.

Da wir nicht direkt nach Yazd, sondern noch einen Abstecher in den südlichen Ausläufer der Dasht-e-Kavir Wüste unternehmen wollen, beschließen wir in Anarak das nächste Hotel zu suchen. Doch dieses ist geschlossen. Da auf dem weiteren Weg nach Mesr kein Hotel mehr zu finden ist, beschließen wir hinter Chupanan in die am Horizont erspähten Dünen hinein zu fahren und hier zu zelten. Nach einigen Kilometern durch losen Sand und kleinere Dünen finden wir schließlich am Fuße der sich von Ebene zu Ebene zu einem kleinen Gebirge auftürmenden Dünen einen wunderschönen Platz.

Yazd erreichen wir am nächsten Abend und der Versuch, das von Jürgen empfohlene Hotel Rose anhand seiner Koordinaten zu finden, schlägt fehl - wir stehen vor einer Mauer, kein Weg führt herum. Wieder mitten in der Stadt frage ich die am Rande eines Kreisverkehrs stehenden Polizisten. Doch die sind sich nicht einig. Der eine meint wir müssten nur die Straße wieder zurück, der nächste will uns links aus dem Kreisel schicken und zwei weitere meinen nur die nächste Straße nach rechts. Ich bleibe hartnäckig und frage, welcher Weg nun der richtige sei, da wird telefoniert, um sich in der Zentrale nach dem richtigen Weg zu erkundigen. Als dieser nun bekannt ist, lassen es sich zwei der Polizisten nicht nehmen, uns per Blaulichteskorte zum Hotel zu bringen. Vom Stil ist es wie eine Karawanserei angelegt. Der überdachte Innenhof dient als Restaurant und ist von den Hotelzimmern umgeben.

Unser weiterer Weg soll uns nach Shiraz führen. Doch vorher machen wir einen Zwischenstopp in Pasargadae, dem eigentlichen Ziel unserer Reise. Hier liegt der Ursprung des Paradies, womit in der Antike nichts anderes als eine umzäunte Gartenanlage gemeint war. Ausser vereinzelter Steine oder Säulenreste ist nichts mehr erhalten.Von der auf einem Hügel gelegenen ehemaligen Plattform des Takht-e Madar-e Soleiman sieht man in nächster Umgebung kräftig grün leuchtende Felder umgeben von unwirtlicher Steinwüste. Hiervon beeindruckt fällt es viel leichter, sich die fruchtbaren Gärten vorzustellen, von denen man meinte, man sei nach tagelangen Reisen durch die Ödnis im Paradies angekommen. Von Shiraz unternehmen wir einen Ausflug nach Persepolis, jene von König Darius gegründete Repräsentationshauptstadt des achämendischen Weltreiches - auch Stadt der Perser genannt. Es ist bisher die beeindruckendste antike Stätte, die wir je besucht haben, und so lassen wir uns von einer Fremdenführerin durch diese historische Stätte geleiten.

Im Basar von Shiraz werden wir am nächsten Tag von Massud angesprochen, ob er uns begleiten darf. Er möchte seine deutschen Sprachkenntnisse trainieren, um demnächst als Reiseleiter zu arbeiten. Zuerst noch skeptisch, willigen wir dann aber ein. So führt er uns von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdig- keit und nach dem Besuch des Hafez Mausoleums verabschiedet er sich wieder, ohne auch einen Obolus für seine Dienste zu verlangen. Schließlich hätten wir zu seinem Sprachtraining beigetragen und wenn, dann sei er in unserer Schuld - so seine abschließenden Worte.


Der weitere Weg führt uns wieder in den Norden durch die Berge ins malerische Kurangtal. Die Mittagsrast verbringen wir geschützt im Schatten eines Wollzeltes, welches als Raststätte für Besucher des nebenan rauschenden Wasserfalls aufgespannt wurde. Angezogen von den moosbehangenen Felsen, an denen das Wasser herunter stürzt, beschließe ich einige Fotos aus der Nähe zu schiessen. Ich halte mich auf der linken Seite des abfließenden Baches, um die auf der anderen Seite beim Picknick sitzende Großfamilie nicht zu stören. Sie rufen laut zu mir herüber um mir einen Tee anzubieten und schon bin ich mittendrin im Geschehen. Neugierig geworden kommt auch Eva dazu. Wir werden wieder einmal nach eigenen Kindern, unserem bisherigen Weg und vielem mehr ausgefragt. Einer der jungen Männer stimmt ein Lied an und singt die Familie an. Voller Freude singen sie zurück. Es herrscht eine feierliche Stimmung, alle haben Spaß. Plötzlich fragt eine der erwachsenen Töchter, ob ich denn auch blaue Augen hätte. Nachdem ich es bejahe, werde ich auch schon aufgefordert meine Sonnenbrille abzunehmen und sie ihnen zu zeigen. Kaum habe ich sie von der Nase heruntergezogen, schon fangen alle an zu jubeln - was für ein wahnsinniges Erlebnis. Es folgt eine Fotosession mit Teilen der Familie vor dem Wasserfall. Zum Schluß sind alle neugierig, wie unsere Euromünzen aussehen. Da ich noch einiges Kleingeld im Geldbeutel habe, kann ich ihnen die Münzen zeigen. Als Andenken schenke ich jedem der Familie eine der Münzen zur Erinnerung an das gemeinsame Erlebnis. Da sie der Meinung sind, dass man Geld als Geschenk nicht einfach annehmen kann, wollen sie uns 100.000 iranische Rial zurückgeben. Doch das wollen wir wiederum nicht, so war unser Geschenk nicht gedacht. Es sollte doch nur ein Erinnerungsgeschenk an uns Reisende sein. Einfallsreich zückt der Familienvater einen Stift und lässt alle auf der Banknote unterschreiben. Jetzt ist der Schein eine persönliche Autogrammsammlung und daher kein Geld mehr - wir müssten das Geschenk annehmen, sonst wären sie alle enttäuscht. Unter diesen Bedingungen können wir nicht mehr ablehnen und sind des Einfallsreichtums angenehm überrascht.

Am nächsten Tag geht es kilometerweit über eine Hochebene bis zum Feuertempel Takht-e Soleiman, was soviel bedeutet wie Salomons Thron. Die Ruinen sind um einen runden Quellsee angeordnet und beim Anblick vom gegenüber liegenden Hügel, können wir uns bildlich vorstellen welch prunkvolle Tempelanlage es einmal gewesen sein muss.

Unser letztes touristisches Highlight ist die in Tuffgestein geschlagene Stadt Kandovan. Wir schlendern durch die am Hang gelegenen Häuser und werden von einem alten Mann angesprochen, der gerade mit seinem Esel um eine Hausecke kommt. Er fordert Eva auf sich auf den Esel zu setzen und spielt mir vor, wie er gerade Eva entführen würde. Danach soll auch ich einmal probesitzen. Aus dem Haus nebenan, welches zur Zeit umgebaut wird, kommt ein jüngerer Mann, mit dem wir uns Englisch unterhalten können. Er sei hier geboren und richtet sich jetzt ein Haus her. Er übersetzt uns, dass der alte Mann uns in sein Haus zum Tee einladen möchte und so kommen wir in den Genuss, eines der ursprünglichen Häuser von innen zu besichtigen.

Die letzte Nacht im Iran verbringen wir in der Stadt Salmas. Hier gestaltet es sich schwierig, ein Hotel zu finden. Im Zentrum angekommen frage ich einen jungen Mann, der mich zu einem kleinen Hotel führt, während Eva mit seinem Freund bei den Motorrädern wartet. Es ist so unauffällig und ohne Zeichen, sodass ich es allein niemals gefunden hätte. Unsere Motorräder dürfen über Nacht im Innenhof stehen und müssen von uns durch das Restaurant dorthin geschoben werden.

Die Ausreise verläuft problemlos und auf türkischer Seite werden die Fahrzeuge genauestens untersucht, damit kein Benzin oder sonstige im Iran günstiger zu erwerbene Güter eingeschmuggelt werden. Ein mit Backwaren voll geladener Kleinbus darf nach dem Überreichen von Pralinenpackungen die Fahrt sofort weiterführen, wir bekommen vom Grenzbeamten sogar eine Kostprobe ab.

Ein Zollbeamter deutet auf mein Kopftuch und gibt mir mit Zeichen zu verstehen, dass ich es ausziehen kann. "You´re in turkey" fügt er hinzu.


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